Stillers Dachboden
  Aller Wochen Ende
 

Eines Morgens erwachte er und wusste, dass die kommende Woche seine letzte werden würde; er wusste nicht mehr, woher er es wusste, aber er wusste es.

 Es war Montag; derselbe Kreislauf wollte wieder beginnen: rechtzeitig zur Schule gehen und doch wieder fünf Minuten zu spät kommen; den halben Tag verschlafen; zwischendurch ein wenig träumen; und schließlich nach Hause gehen und auf den nächsten Morgen warten, an dem er wieder dasselbe tun würde –bis das Wochenende kam, nachdem wieder Montag wäre.
  Trotzdem wusste er, als er sich am Anfang all dessen wieder die gewöhnlichen fünf Minuten zu lange unter der Bettdecke zusammenrollte, dass der ewige Kreislauf am folgenden Sonntag ein Ende haben würde, dass sein gelangweiltes Herz endlich streiken wollte.
  Sehr nüchtern machte er Inventur: Keine Karriere vor Augen, keine Ziele im Leben und kein Grund aufzustehen außer ihrem Anblick.
  Sie war eine Schönheit, zweifellos auch intelligent und von einem Charakter, gegen den Zucker wie Essig war; er hasste diese Menschen, denn er war nicht von ihrer Art. Niemals konnte er mit jemandem wie ihr näheren Kontakt pflegen –und mit ihr noch weniger.
  Doch genug davon; die Bestandsaufnahme musste doch noch etwas zu Tage fördern, das dagegen sprach für immer liegen zu bleiben.
 Er fand nichts außer einem dumpfen Pflichtbewusstsein und überstand mit eben diesem bewaffnet einen weiteren Schultag.
  Irgendwann am Abend ging er mit der Erkenntnis zu Bett, dass noch sechs Tage vor ihm lagen: er hatte ein paar gute Freunde, ein paar nette Bekannte und ein bisschen Familie, aber mit etwas Schmerz konnten sie schon auf ihn verzichten –so wie er auf sie. Trotzdem hatte er einen beißenden Gedanken kurz unter dem Großhirn, der ihn fast am wohlverdienten Einschlafen gehindert hätte, wenn die Nacht nicht so lang gewesen wäre. Er fragte sich, ob er nicht doch etwas vergessen hatte, ob es nicht vielleicht doch etwas gäbe, das er vor dem Ende noch hätte erleben wollen.

 Ein weiterer Tag kroch schneckenhaft dahin und wurde wie immer nur durch ihren Anblick zwei Stunden lang beschleunigt. Sie war doch eigentlich immer sehr freundlich zu ihm gewesen, oder? Theoretisch hätte er bestimmt mehr Zeit mit ihr verbringen wollen und auch können. Praktisch blieb er jedoch einfach sitzen und schaute, fuhr dann nach Hause und erholte sich schläfrig, bis er wieder an der selben Stelle sitzen konnte wie er es die Tage davor und danach tun würde.

 Schon wieder drehte der graue Planet eine Runde und sie drängte sich langsam als Problem bei seinem beschlossenen Abschied auf; irgendwie wäre es doch vielleicht eine interessante Erfahrung gewesen sie näher kennen zu lernen, oder? Sie fragte ihn, ob er ihr nicht das eine oder andere erklären könnte, wenn er Zeit hätte; natürlich hatte er diese, denn von allen Zeiten auf dieser Welt verging seine wohl am langsamsten, da konnte er einer netten ‚sie’ sicherlich ein bisschen davon widmen um ihre geliebten Noten zu verbessern Die beiden trafen sich, sprachen und zwinkerten –das war ihr Fehler, denn als sich ihre Augen wieder öffneten sahen  sie sich schon in der Schule wieder.

 Diesmal sprach er sogar mit ihr, auch wenn ihm dieser Zustand des Fortschritts äußerst fremd war, denn sie war für ihn so starr gewesen wie die Mona Lisa; nun bewegte sich etwas und er verabredete sich mit ihr: wieder Kurzweil, wieder blitzte die Sonne pieksend für einen neuen Tag.

 Es war Freitag und anstatt des üblichen Vollrausches musste er sie nach dem Kino küssen, denn langsam wurde seine Zeit kürzer und er begann sich zu fragen, ob er sie zurücklassen könnte. Sicher würde er das können, aber ob er sich verabschieden könnte, das war zunächst eine andere Frage.

 Als er am nächsten Tag erwachte, pochte sein Herz; es benahm sich wie ein Marathonläufer, den plötzlich doch der Ehrgeiz gepackt hatte. Ehrgeiz war zwar das falsche Wort, aber er erwachte schon früh am Mittag und besuchte sie schnell zum Kaffeetrinken; die Küsse wurden länger, sie legten sich hin und am nächsten Morgen erwachte er neben ihr.

 Sein Leben raste wie ein Baumstamm den Bach hinunter; er war glücklich, schlief beinahe nicht mehr und hielt sie fest so stark er konnte. Irgendwann musste er gehen und sagte nur zum Abschied, dass er glaube sie zu Lieben –auch wenn er sich sicherer war, als er es ausdrücken konnte. Als er sich nun zum letzten Mal in sein Bett legen wollte und sich doch gerne von ihr verabschiedet hätte, kam ihm der letzte wache Gedanke: Er wollte noch eine Woche bleiben, sofern sie es auch tat –denn er liebte sie und das war der Grund gewesen, warum er die letzte Woche ausgehalten hatte.

 Als er dann die Frage gestellt bekam, ob er zu gehen bereit wäre, antwortete er mit ‚nein’ und auf die Frage nach einem Grund, antwortete er mit der Erkenntnis der wahren Liebe. Er durfte Wählen, ob nun sein Leben oder ihres genommen werden sollte.
  Für ihn ging am nächsten Morgen alles von vorne los –ohne sie— und er fragte sich nur, was eigentlich passiert war.

 
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