Stillers Dachboden
  Ein Traum vom Bürgertum?
 

Hin und wieder ergreift mich das Träumen: Was könnte doch alles aus mir werden, wenn ich doch etwas öfter „Ja“ sagen würde. Einfach „Ja“ zum Dasein. Nicht immer so kritisch. Mutig Ziele stecken. Aufbruchsstimmung. Nörgler haben wir genug. Nun geht es vorwärts; ach was sage ich: aufwärts! Wohin mich das wohl führen würde?
  „Ja“ zur Schule hätte das heißen können. Nicht immer nörgeln, dass man sich für irgendwelche Noten verbiegen müsste, dass man zu stolz sei, sich der Meinung Lehrers zu unterwerfen. Statt dessen ein bisschen Ehrgeiz zeigen. Sich ins Zeug legen. Nicht immer jammern, dass man für irgendwelche mündlichen Noten ständig etwas sagen, sich melden, um Präsenz betteln müsste. Mit einem Abitur von eins so richtig ins Leben durchstarten: der Himmel ist die Grenze!

 Und dann erst die Karriere. Lehre, Jahrgangsbester, Angestellter des Monats und welche Preise man sich noch von seinen Arbeitgebern wünschen kann. Vom Geld gar nicht zu reden, obwohl?: natürlich reden wir von Geld. Ein schönes Häuschen ist nicht mehr fern. Frau, Kinder, Familienkutsche in der Garage und ein Gewächshaus im Garten. Was kann es schöneres geben? Man mag mir Klassendenken vorwerfen, aber schließlich habe ich hart gearbeitet; nun habe ich einen höheren sozialen Status als andere –verdient ist verdient.
  Hauptsache das nimmt mir jetzt keiner mehr weg! Die Türen brauchen noch zusätzliche Sicherungsbolzen. Der nächste Wagen hat bitte eine Wegfahrsperre. Ganz nebenbei: der ist sowieso fällig denn das jetzige Auto beginnt mich zu langweilen. Aber vorher noch der neue Fernseher. Meine Kinder brauchen auch neue Fahrräder, nicht dass sie gehänselt werden. Ich muss meiner Frau noch sagen, dass sie mit den beiden Einkaufen geht. Das mit dem Markendruck bei Kleidung ist ja inzwischen ganz schlimm, habe ich mir sagen lassen. Die Nachbarskinder - überhaupt die Nachbarn hier - laufen ja unmöglich herum. Es wird auch langsam Zeit zu Bauen. Ich habe gehört, dass man Fensterscheiben jetzt auch aus Sicherheitsglas machen kann.
  Einen schönen Balkon muss mein Haus haben, dann kann ich über die Straßen sehen. Wenn sich meine Karriere weiterhin so gut entwickelt, kann ich dann meinen Angestellten zuschauen, wie sie zur Arbeit fahren. Hat meine Frau das Geburtstagsgeschenk für den Chef schon eingepackt? Werde ich sie später fragen; jetzt macht sie sich gerade chic für ihre lokale Kulturgruppe. Ob den anderen Damen wohl ihr neues Kleid gefällt? Damit wird sie Frau Schmitz ganz schön in den Schatten stellen, die wird ja nun den Gürtel auch etwas enger schnallen Müssen, nachdem ich nun den Job ihres Mannes habe. Frauen treffen sich, trinken Sekt, reden über schöne Bilder und entspannende Bücher; meins ist das nicht, aber immerhin haben wir dadurch das Bild von diesem neuen Maler bekommen, über den jetzt alle reden: das wird den Gästen gefallen. Geschmack ist beim Erscheinen schließlich immer das wichtigste; „Mache einen guten Eindruck und alle Türen stehen dir offen“, sagte man mir einmal. Alle Türen –und es geht weiter vorwärts.

 Nun gut, in letzter Zeit bleiben die Beförderungen aus; die Firma wird wohl doch nicht mehr meine, aber die da oben mit ihrem Vitamin B im Zweifelsfalle und Intrigen hier und da, sind ja auch nicht zu beneiden. Ich habe gehört die Frau von dem Müller hat ein Alkoholproblem. Es gibt aber auch ein Elend auf der Welt: „Geld allein macht auch nicht glücklich“, wird da ja immer gerne gesagt. Sollen die doch ihre Positionen über mir haben, dafür ist mein Fernseher größer. Und überhaupt: ich bin weit gekommen. Fühlt sich toll an, wenn man so durch die Straßen geht –die meisten Leute haben ja heutzutage gar keinen Stil mehr, ist mir aufgefallen.
 Zum Beispiel unsere Nachbarin: habe die Frau neulich nackt in der Sonne liegen gesehen und was die immer für kurze Röcke trägt. Ist ja auch geschieden. Tragisch. Die Leidtragenden sind ja immer die Kinder. Hat sie eigentlich welche? Wenn ja sind die aber selten draußen. Tragisch. Haben bestimmt einen Schaden fürs Leben mitgenommen. Drogen vielleicht. Jedenfalls schaue ich dieser Person oft zu bei dem, was sie tut, und Frage mich, wo doch Moral und Anstand geblieben sind.
  Aber das greift ja um sich: sogar meine eigene Frau spricht hier und da von Langeweile. Kann ich nicht verstehen. Wenn mir langweilig ist, mache ich Überstunden, oder fahre auch einfach so mit meinem Sportwagen herum. Verrückt, oder? Da sind wir Männer ja noch Kind geblieben, wie meine Frau immer sagt. Wo ist sie eigentlich? Einkaufen vermutlich.
  Oder bei ihrem Schreibkursus? Frauen tun ja die merkwürdigsten Dinge –nur mit mir tut sie nichts mehr. Gut so, denn „Zeit für sich ist besser als gar keine Zeit“, meinte mein Schwager neulich. Der hat letztens noch meine Musikanlage bestaunt; ich glaube schon fast beneidet. Aber ich will ja nun nicht lästern, denn nicht jeder trifft es so gut wie wir. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, einen Wegweiser für so einen Erfolg zu schreiben. Vielleicht tippt meine Frau das. Und mit den Wörtern ist sie auch ein bisschen besser als ich. Man muss auch hin und wieder unverhohlen zugeben können dass Frauen für manche Dinge ein Händchen haben. Müsste ich dann „Glück“ buchstabieren, würde ich sagen: Genugtuung, Liebe, Übereinkunft, und, und… Vielleicht würde ich auch ein anderes Wort buchstabieren, „Zufriedenheit“ vielleicht.

 Frieden. Bald hab ich endlich meine Rente. Gut, dass der Staat uns Bessergestellten die Chance gegeben hat, da ein bisschen was dazuzulegen. Man hört ja schreckliches von den gesetzlichen Versicherungen. Es gibt auch Elend. Ist ja nicht alles Gold, was glänzt. Diese armen Rentner mit ihren Nullrunden. Da bin ich solidarisch mit ihnen, wenn ich sage, dass die jungen Leute den Generationenvertrag verletzten mit ihrer Huppi-Fluppi-Spaßgesellschaft; kein Ehrgeiz, keine Ziele, kein Umsatz, kein Wachstum. Wo soll das noch hinführen? Im Leben wissen sie nicht wie es voran geht, aber drängeln, das können sie; so wie dieser junge Spund heute morgen beim Arzt –auch noch Kassenpatient. Und das mir mit meiner schlimmen Blase. Da ist man nun also verdientermaßen alt, hat seinen Dienst an der Gesellschaft getan, und sie booten einen aus, wo sie nur können. Wenn man mit dem Fahrrad irgendwo vorbeifahren will, stehen sie da als ob sie gleich in den Weg springen und einen am besten noch ausrauben wollen.
  Tagediebe. Es geht dem Ende entgegen. Zwanzig müsste man wieder sein. Und alles noch einmal genauso machen können, denn das Leben war gut zu mir. Ich war immer zufrieden. Alles geht so schnell vorbei; im Rückblick ist es vorbeigerauscht wie ein Traum. All die Möglichkeiten, die Entscheidungen und die vielen schönen Momente. Ich hätte den Wegweiser schreiben sollen: Perfektion bis zum letzten Nagel im Sarg –mir ist, als hätte ich selbst die gewählt.

 
  Heute waren schon 6 Besucher (17 Hits) hier!  
 
Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden